Einladung zum aktiven Sehen (Invitation for an active view)
Susanne Giegerich (1991)
Aachener Nachrichten, 31 January
Die Ausstellung "Keuzewerk 4" in Maastricht.
MAASTRICHT - In einem Zeitraum von zwei Jahren haben die fünf Kuratoren der Museen für moderne Kunst in der Provinz Limburg Gelegenheit, im neuen Verwaltungsgebäude an der Maas, dem Amtssitz der limburgischen Provinzialbehörde, Ausstellungen zu gestalten - genauer gesagt - Auswahlausstellungen - ein "Keuzewerk" zustandezubringen. Nach dem Bonnefantenmuseum Maastricht, dem Gemeentemuseum Roermond und dem Museum Van Bommel - Van Dam in Venlo liegt die vierte Station "Keuzewerk 4" in der Verantwortung der Heerlener Staatsgalerie, für die Anke van der Laan zuständig ist. Ihr ist eine ausgesprochenen sehenswerte Schau gelungen, für die sie die Niederländer Frank Halsmans und Egied Simons sowie die Deutschen Martha Laugs und Norbert Heyers verpflichten konnte. Ihr ursprüngliches Konzept "die Repräsentation der Limburger Landschaft" erwies sich als ausgesprochen schwierig und unter ausschließlicher Beteiligung niederländischer Künstler als nicht durchfürbar.
Nur Egied Simons, der in der Provinz Limburg gelernt hat und heute in Rotterdam lebt, bleibt beim Thema der Landschaft. Er zeigt eine verblüffende Installation, die aus einem rund 3 Meter breiten und 1,60 Meter hohen Farbphoto besteht, das an der Wand hängt und eine große Landschaft mit kleinen, braunen Maulwurfhügeln zeigt. Diese Photographie ist kombiniert met fünf, über 450 Kilogramm schweren Betonhügeln, Abfallprodukten aus Bergbaubetrieben, die auf der Ausstellungsfläche verteilt sind. Der Zusammenhang von Beton-Hügellandschaften und lebendiger Natur fasziniert. Der 33jährige Künstler erklärt, daß die Provinz Limburg die einige niederländische Region mit einer Hügellandschaft ist. Unübersehbar seine Seitenhiebe auf zeitgenössisches Leben, Natur und Technik.
Martha Laugs, die in Raeren lebende gebürtige Stolbergerin, zeigte bereits in der phantastischen Schau "Transparenz - Transzendenz" im Ludwig Forum überzeugende Arbeiten. Im Provincie Haus hat der Betrachter nun unweit mehr Möglichkeiten, sich mit ihrem Werk auseindanderzusetzen. Dort verfügt Martha Laugs, die zur Zeit auch die Ausstellung "Parallaxe" im Stadtmuseum Ratingen gestaltet, über mehr Platz sowie besonders gutes Licht, und dies erlaubt einen weiten Einblick in ihr Lieblingsthema: die Architektur und Amerika. Schwankendes, verborgenes und beeindruckende Ideeen liegen den Objekten zugrunde. Man muß schon genau hinsehen, um die vielen Einzelheiten, die versteckten Assoziationen, die implizierten Querverweise zu entdecken. Ganz ausgezeichnete Einfälle setzt sie mit handwerklichem Geschick an den unterschiedlischten Materialen um, und rasch läuft man Gefahr, sich in die originellen Arbeiten zu verlieben: "Chinatown", "Stars und Stripes", "Liberty-upside-down-town" - US-symbole unter kritischer, teils bejahender, teils innerlich zerrissener Lupe. Wer nicht weiß, wohin die Reise gehen soll, findet in Maastricht etwas Besonderes: ein Ticket zum Himmel aus Messing, Mikroskop, Dia, Filmstreifen. Oder auch eine freundliche Aufforderung, "Benutzen Sie ihr linkes Auge, um die rechte Seite zu sehen", eine Gebrauchsweisung zum "Stereo-Sehen".
"Keuzewerk 4" - eine Schau, die die Wahrnehmung durch die Beschränkung in der Wahrnehmung zu intensivieren vermag. Frank Halmans verbirgt, was er wahrgenommen hat. Er zeigt zwei sehr individuelle Objekte. Der 1963 in Heerlen geborene Halmans, befindet sich auf des "Suche nach der verlorenen Zeit" - er will Zeit konservieren und veranschaulicht das durch beleuchtete Schaukästen, in denen Mottenkugeln liegen - und die herrlich muffig duften. "Jeder Betrachter hat seine eigenen Assoziationen mit Mottenkugeln" erklärt Halmans, und verweist auf die Schwierigkeiten seines großen Themas. Es sei mehr die Umgebung als die Zeit selbst, an der Konservierung festzumachen sei. Originell seine "Reisen im Kopf" auf acht Studiotischen, desgleichen die Rauminstallation des Architekten und Künstlers Norbert Heyers - eine aus acht mit Folie bespannte Rahmen bestehende "Spirale", eckig und kantig, die den Betrachter in Bewegung setzt - eine gelungene Darstellung der dritten Dimension mit unterschiedlichsten Mitteln.
"Keuzewerk 4" - nicht nur ein Genuß für das Auge, sondern eine Einladung zum aktiven Sehen und Mitdenken. Die Ausstellung ist geöffnet bis 4. Oktober, werktags van 9 bis 17 Uhr, dazu ein kleiner, mit guten Fotoausgestatteter Katolog.